Wollen Sie eine durchschnittliche, eine gute oder aber eine herausragende Führungspersönlichkeit sein? Wenn Sie mehr als eine mittelmäßige Führungskraft sein oder werden wollen, ist eine Eigenschaft von entscheidender Bedeutung: Ihre Fähigkeit zur Reflexion! Viele Führungskräfte geben unumwunden zu, sie fänden einfach »keine Zeit« für die prüfende Rückschau auf ihre Arbeit. Der Alltag fräße sie auf. Ebenso treffend könnten sie sagen: »Ich habe keine Zeit, den Zaun zu reparieren, ich muss Hühner fangen.« In der Reflexion liegt wahrscheinlich das größte ungenutzte Potenzial vieler Manager.
Selbstreflexion – Seien Sie ein Vorbild
In Ihrer Funktion als Führungskraft kommt hinzu: Sie können als Leader der- oder diejenige Person sein, die anderen die Fähigkeit vorlebt, reflektiert mit den eigenen großen und kleinen (Un-)Fähigkeiten umzugehen. Wenn Sie den Artikel weiterlesen, stellen Sie sich dabei bitte die Fragen: Welchen Raum nimmt die Reflexion in meinem Alltag ein? Wie ausgeprägt sind meine Fähigkeiten zur Reflexion?
In Bezug auf Ihre Führungsaufgabe sollte sich die Rückschau auf drei Bereiche beziehen:
Die Basis und eine besondere Herausforderung ist für die meisten Menschen die Selbstreflexion. Deshalb soll sie der Schwerpunkt dieses Artikels sein.
Es gibt drei Arten von Selbstreflexion. Diese lassen sich beliebig kombinieren. Wenn Sie nur eine davon anwenden, sind Sie den meisten Führungskräften bereits einen Schritt voraus
Die tägliche Selbstreflexion
Selbstreflexion bezieht sich auf die eigene Person. Warum sollten Sie über sich selbst reflektieren? Harry M. Jansen Kraemer, Professor an der Kellogg School of Management, fasst es in drei Fragen:1
- Wenn ich nicht selbstreflektiert bin, wie kann ich mich dann kennen?
- Wenn ich mich nicht kenne, wie kann ich mich dann führen?
- Wenn ich mich selbst nicht führen kann, wie soll ich dann andere führen?
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt, um andere gut führen zu können. Es ist sinnvoll, sich täglich ein paar Minuten für die Selbstreflexion zu nehmen. Kraemer war, bevor er Professor an einer der renommiertesten Business Schools weltweit wurde, CEO von Baxter International Inc. mit über 50.000 Mitarbeitern. Einen guten Teil seines Erfolgs führt er auf seine allabendliche Reflexion zurück. Er empfiehlt, diese schriftlich in einem dafür angelegten Journal festzuhalten, da das reine Nachdenken sonst eher einem Tagtraum gleiche.
Hier sind ein paar Vorschläge für Fragen zur Tagesreflexion:
- Was lief heute gut und was war nicht zufriedenstellend?
- Habe ich heute selbstreflektiert gehandelt oder habe ich mich von Dringlichkeiten des Tages und Emotionen beherrschen lassen?
- Habe ich meinen Worten entsprechend gehandelt, oder bin ich hinter meinen eigenen Erwartungen zurückgeblieben?
- Wie habe ich meine Mitarbeiter geführt? Kann ich stolz darauf sein?
- Was würde ich anders machen, wenn derselbe Tag jetzt noch einmal beginnen würde?
Vor allem die letzte Frage finde ich sehr mächtig: Nur wenn man für sich zu dem Schluss kommt, ein Verhalten sei nicht gut gewesen, kann man es beim nächsten Mal wahrscheinlich besser machen. Das gleiche Verhalten wird man sonst unreflektiert immer und immer wieder zeigen. Zwar wird sich auch dann manchmal ein etwas ungutes Gefühl einschleichen, man könnte sich besser verhalten, das Gefühl hat aber keine Konsequenz. Wenn Sie untaugliche Verhaltensweisen oder gar Gewohnheiten aber immer wieder zeigen, sind Sie obendrein noch ein schlechtes Vorbild für andere.
Die wöchentliche Selbstreflexion
Ist Ihnen eine tägliche Morgen- oder Abendreflexion zu viel? Dale Carnegie beschreibt in seinem 30 Millionen Mal verkauften Buch »Wie man Freunde gewinnt« noch eine andere Möglichkeit. Ich habe das Buch vor 25 Jahren das erste Mal gelesen und das folgende Beispiel von Carnegie ist mir in all den Jahren in Erinnerung geblieben:2
»Der Direktor einer großen New Yorker Bank schilderte einmal vor einer meiner Klassen ein äußerst erfolgreiches System, das er entwickelt hatte, um sich selbst zu kontrollieren und zu korrigieren. Dieser Mann hatte wenig offizielle Schulbildung genossen. Trotzdem wurde er einer der bedeutendsten Finanziers von Amerika. Er gestand, dass er den größten Teil seines Erfolgs der ständigen Anwendung einer selbst erfundenen Methode verdankte, die er beschrieb: ›Jahrelang notierte ich in meinen Terminkalender sämtliche Verabredungen und Besprechungen des laufenden Tages. Meine Familie wusste, dass sie am Samstagabend nicht mit mir rechnen konnte, weil ich einen Teil dieses Abends dazu verwendete, mich selbst zu prüfen, eine Art Wochenrückblick zu halten und Bilanz zu ziehen. Nach dem Abendessen verschwand ich in mein Arbeitszimmer, schlug meinen Terminkalender auf, ließ alle Besprechungen, Verhandlungen und Konferenzen, die im Laufe der Woche stattgefunden hatten, in meinem Gedächtnis Revue passieren und fragte mich: Welche Fehler habe ich diesmal gemacht? Was habe ich richtig gemacht, und was hätte ich besser machen können? Was kann ich aus diesen Erfahrungen lernen? Es kam nicht selten vor, dass mich diese Wochenrückblicke sehr unglücklich machten. Ich wunderte mich oft über meine eigenen Schnitzer. Natürlich besserte sich das im Laufe der Jahre, und manchmal hatte ich nach einer solchen Selbstanalyse sogar Lust, mir ein bisschen auf die Schulter zu klopfen. Dieses jahrelang praktizierte System der Selbstkritik und Selbsterziehung hat mir mehr geholfen als alles andere, was ich je versucht habe.‹«
Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass eine schriftliche Tages- oder auch Wochenreflexion dabei hilft, das eigene Verhalten zum Positiven hin zu verändern. Es fallen einem im Nachhinein Einzelheiten und Zusammenhänge auf, die einem in der Situation aufgrund des Drucks, der Emotionen oder der eigenen Unzulänglichkeit nicht bewusst gewesen sind. Macht man sie sich bei der Reflexion bewusst, kann man vieles im Nachhinein korrigieren. Gleichzeitig achtet man in Zukunft auf genau diese Dinge.
Die jährliche Feedbackanalyse
Der Vater der modernen Managementlehre, Peter S. Drucker, empfiehlt Führungskräften die von ihm so benannte Feedbackanalyse als eine besondere Form der Reflexion, um Stärken und Schwächen, aber auch mögliche eigene intellektuelle Arroganz und schlechte Gewohnheiten zu identifizieren.
Peter Drucker erklärt die Feedbackanalyse so:
»Wann immer man eine Schlüsselentscheidung fällt oder eine wesentliche Maßnahme ergreift, schreibt man nieder, welche Ergebnisse man erwartet. Und neun oder zwölf Monate später stellt man diese Erwartungen den tatsächlichen Ergebnissen gegenüber. Ich wende diese Methode seit etwa 20 Jahren an. Und die Ergebnisse überraschen mich jedes Mal von neuem. Dieselbe Erfahrung macht jedermann, der sich der Feedbackanalyse bedient.«3
Drucker beschreibt, dass durch diese Analyse klar zutage tritt, wo man selbst Stärken hat und worin man nicht besonders gut ist. Diese Aufgaben empfiehlt er zu delegieren. Drei Schlüsse sollte man nach Drucker aus der Feedbackanalyse ziehen:
- Konzentriere dich auf deine Stärken.
- Entwickle deine Stärken.
- Stelle fest, wo dich intellektuelle Arroganz zu lähmender Ignoranz verurteilt.
Den letzten Punkt erklärt Drucker so:
»Allzu viele Menschen – insbesondere Menschen, die in einem bestimmten Bereich über großes Wissen verfügen – hegen Geringschätzung für das Wissen in anderen Bereichen oder glauben, ›Intelligenz‹ sei ein Ersatz für Wissen. Doch die Feedbackanalyse zeigt rasch, dass einer der Hauptgründe für mangelhafte Leistung darin besteht, dass jemand einfach nicht genug weiß oder das Wissen außerhalb des eigenen Spezialgebiets geringschätzt. Ein gleichermaßen wichtiger Schluss lautet: Trenne dich von deinen schlechten Gewohnheiten. Gemeint sind jene Handlungen oder Unterlassungen, die unsere Effektivität und Leistungsfähigkeit hemmen. In der Feedbackanalyse treten die schlechten Gewohnheiten rasch zutage.«4
Kaum etwas kann Sie als Leader effektiver weiterbringen als eine regelmäßige schriftliche Reflexion. Kraemer, Drucker und Carnegie waren, jeder in seinem Bereich, außergewöhnlich erfolgreich. Und alle drei schreiben das zum großen Teil der Selbstreflexion zu. Probieren Sie eine der drei hier vorgestellten Methoden für sich aus. Außer dem vergleichsweise geringen Einsatz Ihrer Zeit haben Sie nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen!
Leadership Skills – Fragen zur Umsetzung
- Pflegen Sie bereits eine regelmäßige Tagesreflexion, Wochenreflexion oder Feedbackanalyse? Falls nicht: Was hält Sie davon ab?
- Welche der drei Methoden spricht Sie am meisten an?
- Wie schätzen Sie den Aufwand im Vergleich zum möglichen Gewinn ein?
- Wie wäre es, HEUTE noch damit zu beginnen?
1 Kraemer, Harry M. Jansen: Becoming the Best. Build a World-Class Organization Through Values-Based Leadership, New Jersey 2015, S. 27 f.
2 Carnegie, Dale: Wie man Freunde gewinnt. Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden, Frankfurt am Main 2005, S. 23 f.
3 Drucker, Peter F.: Was ist Management? Das Beste aus 50 Jahren, Frankfurt, 2005, S. 258.
4 Ebenda, S. 259.
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