In der Corona-Krise zeigt sich wie in allen Veränderungen irgendwann Verärgerung, die sich bis zur Wut steigern kann. Zu Beginn der Krise mussten viele Mitarbeiter ins Home Office wechseln. Eine Mitarbeiterin sagte dazu verärgert: „War ja klar, dass die Kollegin und nicht ich ins Home Office gehen darf“, als handle es sich um einen genehmigten Kurzurlaub. Genau diese Kollegin ärgert sich aber zuhause über die Tücken der bereitgestellten Technik sowie über die dauernden Störungen durch das private Umfeld. Meist bleibt es nicht bei der Verärgerung. Stellenabbau, Kosteneinsparungen und andere Notmaßnahmen setzen viele Mitarbeiter unter massiven Druck.
Es entsteht Zorn, der sich sich zuerst einmal nach außen richtet. Dies ist der leichtere und schnellere Weg. Man wird zornig über die Geschäftsführung, die nach eigener Auffassung nicht schnell genug, nicht eindeutig genug oder gar gänzlich falsch reagiert hat. Selbst wenn man die Maßnahmen ansatzweise nachvollziehen kann, sind Mitarbeiter zornig über die mangelnde, missverständliche oder zu spät erfolgte Kommunikation derselben. Als weitere Quelle des Zorns dient das Verhalten der eigenen Führungskraft. Auch er oder sie erfüllt in Krisenzeiten oft die Erwartungen der Mitarbeiter nicht. So treten bei der Corona-Pandemie grundsätzliche Schwächen des Chefs oder der Chefin besonders deutlich hervor und der seit Jahren empfundene Ärger darüber kumuliert jetzt in den Zorn. Anders gesagt: Unter starkem Druck stehende Mitarbeiter bleiben selten auf Dauer gelassen oder eben nur ängstlich. Sie finden eine Entwicklung oder eine Person, auf die sie zornig sein können. Oft ist dieser Zorn aufgrund von massiven Mängeln und Fehlern auch durchaus berechtigt. Aber selbst wenn das nicht der Fall ist, kann man mit Zorn als Druckventil rechnen.
Zumindest bei den reflektierten Mitarbeitern richtet sich der Zorn nach einiger Zeit auch zum Teil nach innen, also gegen sich selbst. Man ist zornig auf sich selbst, weil man immer fahriger und nervöser wird, anstatt ruhig und souverän zu bleiben. Auch die eigenen Schwächen treten in Krisen hervor. Oder man realisiert auf einmal, dass man sich in seiner Komfortzone eingerichtet und schon seit Jahren nichts mehr für die Employability getan hat, also für die Attraktivität des eigenen Profils am Arbeitsmarkt. Die meisten Mitarbeitenden haben in Krisen genügend Gründe, auf andere und auch auf sich selbst zornig zu sein. Genau dieser Zorn führt dann zu Widerstand und Blockaden im Arbeitsablauf, notwendige Maßnahmen geraten dadurch ins Stocken. Spätestens jetzt muss die Führungskraft reagieren und sich den Mitarbeitern im Zorn stellen. Davor haben nicht wenige Führungskräfte Angst.
Was Sie tun können, wenn die Mitarbeiter im Zorn sind
- Zorn reduziert sich, wenn Menschen über die Gründe reden können und den Eindruck haben, dass man sich wirklich für sie interessiert. Die Regel lautet daher: Gehen Sie zu den Mitarbeitenden im Zorn hin, und hören Sie zu! Die Betonung liegt hier auf „hören Sie zu“ und nicht auf „reden Sie mit ihnen“. Wenn Zwei Parteien unterschiedlicher Meinung sind, muss eine der beiden anfangen, der anderen zuzuhören. Man könnte Als Chef oder Chefin meinen, das sollen gefälligst die Mitarbeiter sein. Tatsächlich hört aber meistens der zuerst und verbindlich zu, der die höhere menschliche Reife hat und das sollte im Idealfall die Führungskraft sein. Stellen Sie sich vor, Sie rufen als Kunde verärgert bei einem Unternehmen an, um sich zu beschweren, dann wollen Sie, dass man Ihnen zuerst einmal zuhört und nicht direkt gegen Sie argumentiert. Die meisten Führungskräfte steigen leider direkt in eine konfrontative Diskussion mit den zornigen Mitarbeitern ein, was nichts bewirkt, außer dass diese sich komplett verschließen. Es ist dabei völlig egal, wie gut die Argumente sind. Die Mitarbeiter hören gar nicht erst zu, weil sie denken: „Er interessiert sich nicht für meine Meinung, dann ich auch nicht für seine.“
- Bevor sie auf einen Mitarbeiter oder gar eine ganze Gruppe im Zorn treffen, sollten Sie unbedingt an ihrer Einstellung arbeiten. Der Mensch drückt das, was er denkt, auch und gerade durch die Mikrosignale seines Gesichtes aus. Es sind winzige Muskelbewegungen, die der andere aber unbewusst lesen kann. Und wenn man bezogen auf Mitarbeiter, die aufgrund von Zorn Widerstand zeigen, denkt: „was für Idioten“ kommt genau das bei Ihnen an. Sie können ein noch so gut geplantes und wohlklingend ausformuliertes Gespräch führen, wenn ihre Einstellung dahinter „Du Depp“ ist, werden sie keinen Erfolg haben. Einstellung schlägt Sprache. Bringen Sie sich deshalb selbst zumindest in einen neutralen Zustand, so dass sie ernsthaft bereit sind, die Welt des anderen für einen Augenblick aus seiner Sicht zu verstehen. Diese Bereitschaft wird der andere spüren und mit einer Öffnung darauf reagieren.
- Wie lange sollen Sie zuhören? Sicherlich erinnern Sie sich an einen heißen Sommertag, an dem die Luft so schwül war, dass Sie kaum atmen konnten. Dann kam ein mächtiges Gewitter nach dessen Niedergang die Atmosphäre völlig friedlich und die Luft wieder frisch und rein war. Genau diesen Zustand müssen Sie erreichen. Hören Sie so lange zu, bis dieser „abgeregnete Zustand“ erreicht ist und Sie die Ruhe im Raum spüren können. Machen Sie sich beim Zuhören Notizen. Am Ende fassen Sie zusammen, was Sie verstanden haben und fragen die Person oder Gruppe, ob das so stimmt. Erst wenn die Antwort „ja“ lautet, haben Sie Sicherheit. Jetzt können Sie antworten: „Ein paar Dinge sehe ich genauso wie Sie (Kommentar: das ist in der Tat immer so, die Mitarbeiter sind intelligent und manche Argumente sind für Sie nachvollziehbar), ein paar Sachen sehe ich anders, weil ich andere Infos oder einen anderen Blickwinkel habe. Interessiert es Sie, zu erfahren, was ich genauso und was ich anders sehe?“ Wenn Sie vorher wirklich zugehört haben, ist man jetzt bereit, auch Ihnen zuzuhören und ein echter Dialog kann beginnen.
- Manche Führungskräfte meiden ein solches Gespräch mit Mitarbeitern im Zorn wegen des folgenden Arguments: „Ich kann den Mitarbeitern nicht entgegenkommen. Die Maßnahmen stehen und müssen genau so umgesetzt werden. Wenn ich da jetzt hingehe und mit denen rede, stellen sie doch Forderungen und die kann ich nicht erfüllen.“ Das mag so sein, aber auch wenn Sie nur zuhören und nichts anbieten können, führt das zu einem massiven Abbau von Verärgerung oder Zorn. Allein die Tatsache, dass uns jemand zuhört und ernst nimmt, reduziert den Zorn bereits deutlich.
Der Umgang mit Krisen und mit Mitarbeiter, die Angst und Zorn empfinden, ist die Königsdisziplin von Führung. Eine Krise ist wie eine Lupe für Führungsqualität. Es ist die Chance, aus der Masse hervorzutreten und zu zeigen, was man kann. Der gute Kapitän zeigt sich im Sturm und wer als solcher noch jung und unerfahren ist, hat in der Krise die Chance, einer solcher zu werden.
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