Früher war „Angst machen“ in der Führung durchaus ein probates Mittel der Leistungssteigerung, als die Mitarbeitenden nur einfache mechanische Aufgaben ausführten. Mit Angst arbeiteten die Menschen schneller. Bei modernen Wissensarbeitern ist aber genau das Gegenteil der Fall. Sie sind in der VUCA-Welt auf Ihren Verstand und dessen Flexibilität und Kreativität angewiesen. Unter dem Einfluss von Angst bis hin zur Panik nimmt beides rapide ab. Selbst einfache Abläufe zu durchdenken fällt jemandem schwer, wenn die Sorgen als Endlosschleife im Kopf kreisen. Durch Angst geht aber nicht nur die Qualität der Arbeit zurück, sondern auch die Quantität. Das Hören und diskutieren des „Flurfunks“ kann zu einer täglichen mehrstündigen Tätigkeit werden.
In der Psychologie unterscheidet man „Angst“ von „Furcht“. Angst ist eine allgemeine Alarmierung des Nervensystems ohne einen konkreten Auslöser der Bedrohung, wohingegen Furcht sich auf eine deutlich wahrnehmbare Bedrohung bezieht. Wenn ein Flugzeug in starke Turbulenzen gerät, haben fast alle Passagiere Furcht wegen des spürbaren Achterbahneffekts. Alle realisieren die konkrete Bedrohung. Hat jemand dagegen Flugangst, ist die Person schon der Panik nahe, wenn sie ein Flugzeug nur betritt. Sie durchleidet während des gesamten Fluges heftige Angstzustände, obwohl es ein normaler Flug ist und alle anderen entspannt bleiben. Vorgestellte (Absturz-)Ängste lösen leider ähnliche körperliche Reaktionen aus, wie ein echtes Geschehen.
Da man bei einer Krise wie der Corona-Pandemie nicht wissen kann, welche Konsequenzen sie für einen selbst und das nähere Umfeld hat, befinden sich die meisten Menschen im Zustand der Angst. Für eine Führungskraft macht es das schwierig. Auf Furcht kann man eingehen, aber auf diffuse Ängste nur schwer. Hier helfen zuerst einmal grundsätzliche Empfehlungen gegen Angst.
Wenn Mitarbeiter aufgrund der Krise über Wochen und Monate hinweg Ängste haben, wird das vegetative Nervensystem dauerhaft in Erregung versetzt und kann zu vegetativen Dystonien führen, also einer fehlregulierten Spannung (Dystonus) des Nervensystems. Diese kann dann Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Magenprobleme und andere Symptome erzeugen.
Was Sie für sich und Ihre Mitarbeiter tun können, wenn die Angst überhandnimmt
- Machen Sie sich selbst und anderen klar, dass man ängstlich und mutig zugleich sein kann. Mark Twain hat einmal gesagt: „Mut ist Widerstand gegen die Angst, Sieg über die Angst, aber nicht Abwesenheit von Angst.“ Es gibt Ihnen und anderen eine innere Kraft, sich die eigene Angst einzugestehen und zu sagen: „Ja, ich habe Angst, und ich mache es trotzdem!“ Angst zu haben ist keine Schande. Selbst Helden/innen haben Angst. Angst zu spüren ist der erste Schritt zum Mutig-sein. Gehen Sie den zweiten und überwinden Sie die Angst. Ermutigen Sie dann auch andere dazu.
- Wenn Menschen sich zu viele Sorgen machen, also diverse Ängste bezogen auf die Zukunft haben, ist das wirksamste Gegenmittel, die Gedanken immer wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Man kann sich zum Beispiel fragen: „Gibt es Hier und Jetzt etwas, das mich bedroht?“ Die Antwort lautet im Normalfall nein. Der schnellste Weg gegen das Sorgen-Karussell im Kopf ist diese 1-Minuten-Übung: Lauschen Sie für einen kurzen Augenblick, bis Sie fünf verschiedene Geräusche wahrgenommen haben, und betrachten Sie dann fünf Dinge in Ihrem Umfeld genauer, sodass Sie diese anschließend beschreiben könnten. Auch jede andere Form von Achtsamkeitsübung wie zum Beispiel das bewusste Wahrnehmen der eigenen Atmung für 30 Sekunden stoppt das Sorgen-Karussell und drückt eine innere Pause-Taste. Geben Sie dieses Wissen weiter.
- Bei Mitarbeitern, die sich beruflich und/oder wirtschaftlich existenziell bedroht fühlen, kann die hohe Arbeitsbelastung und das dauernde Sorgen machen zu einer Angst-Störung führen. Sie schaffen es nicht mehr, konzentriert zu arbeiten, bauen körperlich ab und melden sich wiederholt krank. In solchen persönlichen Krisen können ausnahmsweise und übergangsweise vom Hausarzt verschriebene Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) helfen. Sie machen nicht süchtig, haben kaum Nebenwirkungen und stellen die Sorgen mit etwas zeitlicher Verzögerung zum guten Teil ab. So können manche besonders belastete Mitarbeitende, die oft auch Eltern sind, im Alltag wieder handlungsfähig werden.
- Eine direkte Möglichkeit, als Führungskraft etwas gegen die Angst von Mitarbeitern zu tun besteht darin, ihnen in Krisen kurzfristige Ziele zu setzen. Verteilen Sie bei Mitarbeitenden mit Angst-Symptomen wie Nervosität, Vergesslichkeit oder fehlendem Überblick, übergangsweise detaillierte kurzfristige Aufgaben. Sagen Sie genau, was Sie wollen. Auf ein sehr konkretes Wochen- oder 14-Tage-Ziel hinzuarbeiten, fällt leichter und baut Angst ab.
[…] Jede Krise beginnt mit einem Ereignis. Bei Corona war es die sich international ausbreitenden Pandemie und die mediale Berichterstattung. Es folgten immer neue Maßnahmen der Regierung und des eigenen Unternehmens, die von jeder Menge Gerüchte und Verschwörungstheorien begleitet wurden. Nicht zu wissen, was auf einen zukommt und keine Handlungsoptionen zu haben, macht Menschen Angst, weil sie die Konsequenzen für sich selbst und ihr nächstes Umfeld nicht abschätzen können. Die stufenweise Eskalation einer Krise verstärkt das kollektive Phänomen der Angst wie ein Lautstärkeregler, den man langsam hochdreht. (Hier geht es zum Artikel „Umgang mit Angst) […]